Preisvergabe 2020/2021

Unter den insgesamt 77 qualitätsvollen Einreichungen wurden nach einem ausführlichen Bewertungsverfahren durch die internationale Fachjury drei Projekte/Organisationen vorgeschlagen und vom Stiftungsrat für den Preis ausgewählt. Darüber hinaus hat der Stiftungsrat auf Vorschlag der Preisjury zwei Sonderpreise gesprochen. 

Den Hauptpreis teilen sich:

Fachstelle kindsverlust.ch 

Fehl- und Totgeburten sind ein häufiges Phänomen, das sehr viele Frauen und Paare betrifft. Etwa jede vierte Frau verliert zumindest einmal in ihrem Leben ein Kind während der Schwangerschaft. Von medizinischer Seite lange Zeit als Bagatelle betrachtet und der individuellen Bewältigung überlassen, kann der frühe Verlust eines Kindes komplexe Trauerreaktionen mit langfristig negativen Folgen für die Betroffenen auslösen. So können beispielsweise Folgeschwangerschaften stark angstbelastet sein und die Entwicklung der neuen Mutter-Kind-Beziehung beeinträchtigen. 

Es ist daher wichtig, dass die medizinische Grundversorgung die Verarbeitung eines frühen Kindsverlustes als relevantes Thema erkennt und interdisziplinär unterstützt. Die Fachstelle kindsverlust.ch hat diesbezüglich in der Schweiz über fast zwei Jahrzehnte Pionierarbeit geleistet und einen Kulturwandel bewirkt. Der Schlüssel zum Erfolg war und ist die Strategie der Fachstelle zur nachhaltigen Sensibilisierung, Befähigung und Unterstützung von Frauenärztinnen und -ärzten, Hebammen, Pflegefachpersonen und ganzer Klinikteams. Durch diesen systemischen Ansatz erreichte die Fachstelle kindsverlust.ch einen breiten Bewusstseinswandel, der heute vielen Frauen und Paaren, die von einem frühen Verlust ihres Kindes betroffen sind, zugutekommt.

Die Fachstelle kindsverlust.ch ist aus einer Privatinitiative engagierter Fachpersonen hervorgegangen, die ohne gesicherte Finanzierung einen beeindruckend langen Atem bewiesen haben.

KinderPalliativTeam Südhessen 

Differenzierte vorgeburtliche Untersuchungen des Fötus sind zum Standard im Rahmen der Schwangerenvorsorge geworden. Ein pränataler Befund einer lebensverkürzenden Erkrankung des Fötus stellt werdende Eltern sehr plötzlich und unvorbereitet vor die Situation des Abschiednehmens von ihrem noch ungeborenen Kind. Neben dem Schock und der Trauer um den Verlust eines gesunden Kindes und mit der Erwartung eines frühen Todes wird von ihnen meist auch die Entscheidung verlangt, ob die Schwangerschaft weitergeführt werden soll. Ein Schwangerschaftsabbruch wird oftmals als erste und vermeintlich einfachste Lösung wahrgenommen.

Das KinderPalliativTeam Südhessen bietet dazu eine praktikable, fachlich verantwortbare Alternative an: die Fortführung der Schwangerschaft mit der Option einer palliativen Geburt. Die Palliativversorgung des noch ungeborenen Kindes folgt dabei dem gleichen multiprofessionellen Ansatz, wie ihn die Palliativversorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bietet. Dies gibt betroffenen Eltern Zeit und die Möglichkeit, das schwerkranke Kind kennen zu lernen und Abschied zu nehmen. Die wissenschaftliche Evidenz weist auf eine langfristig bessere Bewältigung der Trauer und des Verlustes für die Eltern hin als dies durch einen Schwangerschaftsabbruch gelingen kann.

Das besondere Verdienst des KinderPalliativTeam Südhessen ist es, in der Praxis aufzuzeigen, dass und wie die ambulante Betreuung schwerkranker, bald sterbender Neugeborener zuhause möglich ist. Dieses Wissen über die palliativen Versorgungsmöglichkeiten trägt dazu bei, dass die vorgeburtliche Diagnose einer lebensbegrenzenden Erkrankung des Fötus nicht „automatisch“ zu einem Schwangerschaftsabbruch führen muss. Werdenden Eltern kann in ihrer Ausnahmesituation eine lebbare, qualitätsvolle Alternative angeboten werden. Für den entsprechenden Praxisbeweis wird dem KinderPalliativTeam Südhessen der Fürst Franz Josef von Liechtenstein Preis 2020/2021 verliehen.

Durch die Integration von multiprofessionellen Kinderpalliativteams in den pränatalen Beratungsprozess könnte es vielen Eltern ermöglicht werden, sich für das Austragen einer Schwangerschaft zu entscheiden. Es ist der Gesellschaft zu wünschen, dass das Modellprojekt KinderPalliativTeam Südhessen Schule macht. 

Perinatale Palliative Care im Eltern-Kind-Zentrum des St. Josef Krankenhauses Wien

Pränatale Diagnostik hat längst Einzug in den Alltag der Schwangerenvorsorge gefunden. Frauen und Paaren wird mithilfe vorgeburtlicher Untersuchungen Sicherheit bezüglich der Gesundheit des ungeborenen Kindes versprochen. Bei einer schwerwiegenden Diagnose finden sie jedoch kaum systemische Unterstützung, ja mitunter sogar Widerstand, wenn sie sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Es fehlen im Regelsystem konsistente und professionelle Begleitungsangebote für jene, die ihre Schwangerschaft trotz einer schwerwiegenden pränatalen Diagnose einer lebenslimitierenden Beeinträchtigung/ Erkrankung fortführen wollten.

Wenn betroffene Eltern eine Alternative zum Abbruch suchen, unterstützt sie das Perinatale Palliativteam des St. Josef Krankenhauses in dieser schwierigen Situation. Das Team bietet den Eltern, deren Kind aufgrund einer schweren, lebenslimitierenden Erkrankung höchstwahrscheinlich vor, während oder nach der Geburt sterben wird, umfangreiche Beratung sowie geburtshilfliche, neonatologische und klinisch-psychologische Betreuung an. Im Sinne einer palliativen Betreuung steht dabei nach der Geburt nicht die Verlängerung der Lebenszeit der betroffenen Neugeborenen um jeden Preis, sondern die bestmögliche Lebensqualität und das Befinden des Kindes sowie dessen Familie im Vordergrund.

Das Perinatale Palliativteam des St. Josef Krankenhauses bietet betroffenen Eltern umfassende Betreuung an, von der Beratung ab Diagnose über die Geburtsplanung bis hin zur interdisziplinären Begleitung der Geburt durch eine Gynäkologin, Hebamme und Neonatologin, die gewährleistet, dass das Kind in der mitunter kurzen Lebens- und Sterbephase keine Schmerzen oder anderes Leiden empfinden muss. Zudem stehen auf Wunsch Seelsorger/innen oder klinische Psychologinnen bzw. Psychotherapeutinnen unterstützend zur Verfügung. Das Konzept überzeugt zudem durch die Wahlfreiheit der Eltern, die Palliativversorgung ihres Kindes im Krankenhaus oder zuhause in Anspruch nehmen zu können. Das Team begleitet die Eltern über den Tod ihres Kindes hinaus und hilft ihnen, ihren individuellen Weg des Abschieds zu finden und zu gestalten.

Erst diese umfassende Unterstützung ermöglicht es Eltern, eine Beziehung zu ihrem schwer kranken oder sterbenden Kind aufzubauen, es bis zu seinem natürlichen Tod zu begleiten und von ihm Abschied zu nehmen. Eine Reihe von Studien weist auf die langfristig bessere Bewältigung der Trauer und des Verlustes durch die Eltern hin, als dies durch einen Schwangerschaftsabbruch möglich ist.

Es ist das besondere Verdienst des Perinatalen Palliativteams des St. Josef Krankenhauses, die Option der palliativen Geburt in das Regelsystem einer grossen geburtshilflichen Klinik einzuführen. 

Die beiden Sonderpreise gehen an:

Verein 12 Wochen - Hebammenbegleitung bei Fehlgeburten im 1. Trimenon

Fehlgeburten im 1. Schwangerschaftsdrittel sind die häufigste Form von frühem Kindsverlust. In der Regel erhalten Frauen, die ein Kind im ersten Trimenon verlieren, keine spezielle Begleitung und Betreuung. Diese ist jedoch wünschenswert, da mögliche negative Folgen eines Kindsverlustes nicht von der Dauer der Schwangerschaft abhängen. Je nach Vorbelastung und Resilienz der Frau kann auch ein sehr früher Kindsverlust psychische Krisen auslösen und Folgeschwangerschaften belasten.

Mit ihrem innovativen Projekt machen sieben Hebammen, die sich zum der “12 Wochen - Hebammenbegleitung bei Fehlgeburten im 1. Trimenon“ zusammengeschlossen haben, auf diese Versorgungslücke aufmerksam und wollen diese schliessen. Ziel ist, allen Frauen und Familien in Österreich bei Fehlgeburten eine niederschwellige, kostenlose und professionelle Hebammenbegleitung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck sind im ersten Schritt die Entwicklung einer Homepage mit einer umfangreichen Sammlung von Informations- und Begleitungs-angeboten sowie die Installation einer telefonischen Hotline geplant. Nach der Evaluierung der ersten Phase werden die Entwicklung einer App sowie eines Online-Beratungsangebotes ins Auge gefasst. Durch eine österreichweite Vernetzung mit Hebammen und anderen professionellen Diensten soll in der Perspektive auch eine Vor-Ort-Begleitung, unabhängig vom Wohnort, ermöglicht werden.

Von dieser engagierten Initiative werden viele Frauen und Paare in Österreich, die von einer frühen Fehlgeburt betroffen sind, erheblich profitieren.

Universitätsklinik für Frauenheilkunde Freiburg: Betreuungsnetz für Frauen und Paare nach Pränataldiagnostik

Eltern, die im Rahmen der erweiterten Schwangerschaftsvorsorge von einer schweren fetalen Erkrankung bzw. Fehlbildung ihres Kindes erfahren, sind zutiefst verunsichert und erschüttert. Die schwerwiegende kindliche Diagnose löst zumeist eine existenzielle Krise aus.

Mit der Feststellung eines auffälligen Befundes setzt ein Entscheidungs- und Trauerprozess ein. Im Unterschied zu der Begleitung von Frauen, Paaren und Familien, die ihr Kind durch eine Fehl- bzw. Totgeburt verloren haben, kommt hinzu, dass diesen Eltern ein Entscheidungs-prozess zugemutet wird, die Schwangerschaft auszutragen und den Weg einer palliativen Geburt zu gehen oder sich für einen vorzeitigen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Nicht wenige Eltern fühlen sich von dieser Situation überfordert.

Die Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Freiburg hat ein vorbildliches Projekt zur umfassenden Begleitung betroffener Eltern in diesem komplexen Entscheidungs- und Trauerprozess lanciert. Ab dem Zeitpunkt der Diagnose wird Eltern die Begleitung der Schwangerschaft durch Fachärzte und -ärztinnen, Hebammen, psychosoziale Fachkräfte und die Klinikseelsorge angeboten. Eltern erhalten mehrere Handlungsoptionen einschliesslich der palliativen Geburt, die von der Klinik unterstützt werden. Zum vorbildlichen Modell wird das Projekt durch die Definition eines Standards für die palliative Geburt, durch die saubere Organisation der Fallführung und des Schnittstellenmanagements zwischen ambulantem und stationärem Setting sowie durch eine gemeinsame Dokumentation, die von allen beteiligten Disziplinen einsehbar ist.